RESEARCHING für
"NORA VOYAGER"
1983, zwei Jahre vor meiner Geburt fahren meine Eltern aus Ostberlin, (Hauptstadt der) DDR nach
Ulan-Bator, Hauptstadt der Mongolei und besuchen dort Nazagdorj, einen mongolischen Arzt und
ehemaligen Kommilitonen. Sie reisen mit meinem Onkel und meiner Tante, besuchen gemeinsam die
Geierschlucht (Yolyn Am), jagen ein Murmeltier und schlachten eine kleine Ziege, die aus der
Hauptstadt im PKW mittransportiert wurde. Meiner Mutter und meiner Tante werden über Nacht je
ein Deel (mongolisches Gewand) geschneidert. Damit bekleidet werden sie in Gruppenbildern
aufgestellt und mit der mongolischen Verwandtschaft abgelichtet. Nach sechs Wochen geht es
zurück mit der Transsibirischen Eisenbahn und ab Moskau mit dem Flugzeug bis Berlin (Ost).
Eine Reise, die zum identitätsstiftenden Narrativ meiner Familie wird, eine ungewöhnliche dazu, da
es kaum Individualtourismus in der DDR gab. Seit Kindertagen betrachtete ich mit Ehrfurcht und Ekel
das, mit Knochen gefüllte Seidenbeutelchen auf dem Schreibtisch meiner Mutter (eine Art
mongolisches Würfelspiel) und die Fotos, welche sie in eben jenem Deel gekleidet bei ihrer Trauung
im tiefsten Sachsen zeigt.
Bei ersten Befragungen meiner Eltern erfuhr ich, dass die kleine Reisegruppe öfter liebevoll genötigt
wurde den mongolischen Gastgeber:Innen das „Sandmannlied“ vorzusingen, etwas vorzutanzen oder
Gastgeschenke zu verteilen, wie z.B. „Zopfhalter, Haarspangen, Kämmchen, Glitzerkram“. Dieses
Schenken und sich öffnen, wenn Reisende an einem Ort in der Fremde eintreffen, weckte mein
Interesse. Ich fragte mich, was ich wohl mitbringen würde und es entstand mein Wunsch die
Nachkommen des Gastgebers von damals zu finden und selbst eines Tages in die Mongolei zu fahren.
Was würde ich heutzutage mitbringen? Welches Lied singen, welchen Tanz vorführen, welches
Getränk oder Gericht servieren? In erster Linie kann ich von meinen schauspielerischen Fähigkeiten
Gebrauch machen, um zur Botschafterin zu werden und meinen Körper samt Stimme als
Ausdrucksmittel nutzen.
Ich möchte mit einer Performance, ausgehend von mir selbst, meiner Familiengeschichte und
meinem Kulturkreis zu einer Kulturbotschafterin werden.
Dafür entwickle ich die „NORA VOYAGER“,
ein Programm, das die Ergebnisse meiner Recherche enthalten soll.
Die „NORA VOYAGER“ ist angelehnt an die „Voyager Golden Record“, die an Bord der Raumsonden
Voyager 1 und Voyager 2 angebracht sind. Es handelt sich um vergoldete Kupferplatten, worauf
Informationen über die Menschheit gespeichert sind (116 analog gespeicherte Bilder, Audiodateien
mit gesprochenen Grüßen in 55 Sprachen, Gesang, Instrumentalmusik, Geräuschen der Natur, usw.).
Was heißt es, Deutsche zu sein? Was haben Sauerkraut, Bier und Volkstanz mit mir zu tun? Wie sehr
identifiziere ich mich mit unserer Kultur, wenn ich außerhalb der eigenen Landesgrenzen bin und was
davon, wäre am aussagekräftigsten für mich und somit wert mitgebracht zu werden.
Die Recherche beschäftigt sich damit, Material für die Performance zu sammeln:
Ich werde Interviews zu der Mongolei-Reise mit meinen Eltern führen und versuchen Nazagdoijs
Kinder zu finden und mit ihnen zu sprechen. Ich werde mich mit meiner Staatsangehörigkeit
beschäftigen und damit, was es bedeutet einen deutschen Pass zu haben: Welche Privilegien
erwachsen daraus? Gibt es Nachteile Deutsche zu sein? Ich werde mich mit deutschen Volkstänzen,
Musik und Gerichten auseinandersetzen, um herauszufinden, was davon für mich persönlich
immatrielles Kulturerbe darstellen kann. Ich werde Kontakt zu den sieben Kulturbotschafter:Innen
der Mongolei, die nach Deutschland entsandt wurden, aufnehmen und sie dazu befragen, was für sie
typisch deutsch ist. Ich werde herausfinden, was beliebte deutsche Produkte sind, die außerhalb
unserer Landesgrenzen geschätzt werden.
Fotos: M. Ruhnke